11.-14.10. Russland, Sankt Petersburg und Moskau

11.-14.10. Russland, Sankt Petersburg und Moskau

Guten Morgen, liebes Tagebuch,

auf geht’s zum letzten Liveabenteuer dieses Jahr. Russland steht auf dem Plan, genauer Sankt Petersburg (zum ersten Mal) und Moskau (bereits zum dritten Mal).
Ich reise am Mittwoch, den 10.10. abends an, denn unser Taxi zum Flughafen geht bereits am nächsten Tag morgens um halb 8, um 7 soll ich noch den Trommler aufsammeln und auf 4 Uhr morgens aufstehen habe ich keine große Lust. Außerdem möchte ich noch ein paar Dinge im Proberaum zusammenpacken. Viel nehmen wir eh nicht mit. Gitarren, Bass, Drumsticks, In Earhörer und Kabel. Und Ersatzsaiten packe ich noch ein, die werden noch eine tragende Rolle spielen…
so-ist-dass-wenn-man-am-nachmittag-zum-alkohol-gezwungen-wird-widerrede-sinnlos
Am nächsten Tag klingelt um kurz nach 6 mein Wecker und ich fahre los, um Stefan abzuholen. Kleiner Umweg zum Proberaum, kein Thema! Pünktlich um halb 8 sind alle vor Ort, Matthias wird in Dachau von uns aufgegabelt, der kann also gar nicht zu spät da sein…
Wir steigen ins Taxi und los geht’s zum Flughafen. Kurzer Zwischenstopp beim Bassisten, der auch bereits wach ist und weiter geht’s. Kurzer Münchner Berufsverkehrstau und schon sind wir am Airport. Hier treffen wir alle Privatanreiser und die Truppe ist komplett:
Wir 4 Jungs, Ally und Jutta als Ersatz für Anna und Bifi, die noch nicht so lange von ihren Babies weg können, Cese (Monitor), Sean (FOH) und Danny (Backline). Hannah, unsere Tourleitung, treffen wir in Berlin und fliegen von dort gemeinsam nach Sankt Petersburg. So ist zumindest der Plan…

Wir geben unser Gepäck auf, dürfen pro Gitarre noch lockere 50 € abdrücken, dann treffen wir am Sperrgepäckschalter Markus, der uns gleich noch nette Tickets für den Rückflug organisiert. Doch das erfahren wir erst später…

Boarding beginnt bereits mit 20 Minuten Verspätung und im Flieger erfahren wir, dass sich unser Abflug um weitere 40 Minuten verschiebt. Bei einer Umsteigezeit von 60 Minuten in Berlin verspricht das spannend zu werden…
Kurz vor der Landung erfahren wir per Durchsage, dass wir auf einen anderen Flug umgebucht werden, derweil Hannah bereits im richtigen Flieger sitzt. Der umgebuchte Flug geht allerdings erst um 21.30! Und so steht statt Sightseeing in Sankt Petersburg Zeittotschlagen in Berlin auf dem Programm. Na toll, geht ja schon gut los! Wir setzen uns in ein Lokal und bestellen bayerisches Bier, wahlweise Berliner Weiße (wer hat dieses Schrottgetränk eigentlich erfunden?!?), dazu die angeblich beste Currywurst der Stadt, von der ich im Nachhinein weiß, dass es die definitiv woanders gibt…
Weiter geht’s mit lustigem Kneipenhopping und im nächsten Laden heißt es nicht mehr Bayrisch gegen Berlinerisch, sondern Mai Thai gegen Caipi. Eine Stunde später ziehen wir weiter in den ungemütlichsten Irish Pub, den ich je gesehen habe. Entsprechend gibt’s für jeden nur ein Bier und weiter geht’s um zwei Ecken in einen wirklich gemütlichen Irish Pub. Entsprechend ist der Umsatz hier etwas höher und wir bleiben sitzen, bis es wieder heißt: Ab zum Flughafen! Nochmal durch die Kontrollen, dann ab an Bord und endlich in die Lüfte nach Sankt Petersburg, wo wir gegen 2 Uhr morgens Ortszeit landen. Ab durch die russischen Sicherheitskontrollen, und raus auf den Vorplatz, damit die armen Raucher unter uns endlich eine durchziehen können, dann geht’s ins Taxi und zum Hotel. Noch einen Absacker in Sankt Petersburg, dann rufen die Betten.

Das Frühstück lasse ich ausfallen und mache mich gegen halb 12 mit Stefan und Matthias auf den Weg in die Stadt. Hier essen wir erst einmal ausgiebig, dann laufen wir ein wenig durch die Gegend und versuchen uns in der kurzen Zeit und zu Fuß einen kleinen Eindruck dieser schönen Metropole zu machen. Auf dem Rückweg, wollen wir noch einen kleinen Kaffee trinken und so bleiben wir neben einer gemütlichen irischen Kneipe stehen, die auch noch irgendwas mit Bass heißt. Also MÜSSEN wir da natürlich rein.
Was trinkt man mittags als harter Rockmusiker? Wir einigen uns auf Irish Coffee und fühlen uns ein bisschen wild und rebellisch dabei.
Allerdings werden wir bald erfahren, dass wir in Wahrheit ausgemachte Milchbubis sind. Denn plötzlich steht ER im Raum. Pavlov, der russische Bär. Schon mit ganz schöner Schlagseite beobachtet er uns etwas argwöhnisch. Wir tun so, als ob wir ihn nicht sehen, erstmal… Schließlich sagt er etwas zu uns, auf Russisch natürlich. Sorry, only English! Jetzt setzt er sich zu uns und es macht sich ein etwas mulmiges Gefühl breit, zumal der Kneipenbesitzer immer kleinlauter wird. Matthias flüstert noch in die Runde „ich bin froh, dass ich jetzt nicht alleine hier bin“, da gesellen sich auch schon Pavlov’s Freunde dazu, die unser Gefühl „wir sind immerhin zu dritt“ schnell zu Nichte machen.
Pavlov erzählt, dass er in den letzten 3 Tagen nicht zuhause war und in der Zeit 4 Liter Whisky getrunken hat. Ich glaube ihm das sofort… Dann sagt er: „I offerrrr now one literrrr Whisky an YOU drrrrrink with ME. NOW!“ Das klingt ganz und gar nicht nach einer netten Einladung, sondern nach einem Befehl… Wir versuchen ihm zu erklären, dass wir noch zu arbeiten haben und noch nichts trinken werden – unser Irish Coffee kommt uns gerade ziemlich lächerlich vor. Auch der Bedienung machen wir das klar, ein Schlag von Pavlov’s flacher Hand auf den Tisch scheint aber mehr zu wirken, als unser Flehen.
Erstaunlicher Weise wird der Bär plötzlich friedlich, schüttet uns sein Herz aus über sein privates Unglück, erzählt uns von seinem Weg vom Rot Kreuz-Hilfsbedürftigen zum wohlhabenden Mann, wird ein wenig politisch und erklärt, dass wir ja nichts für die Vergangenheit können (RICHTIG!!!) und möchte mit uns auf den Frieden und unsere sehr junge Freundschaft trinken. Wir merken, dass wir aus der Nummer nicht mehr rauskommen und Stefan versucht ihm klarzumachen, dass es nur ein kleiner Whisky sein soll. Dabei macht er dieses Zeichen mit Daumen und Zeigefinger. „You are big, but WE can only drink a little one“. Pavlov hingegen meint, wir meinten damit seine Männlichkeit. Wer nun denkt, er wäre beleidigt oder so, der irrt. Im Gegenteil, er lacht sein tiefes Bärenlachen, erklärt uns, dass er wohl weiß, dass Deutsche Männer wohl die Längeren haben (ach, ist das so?!), seiner aber seinen Zweck erfüllt. Dann steht er auf und macht seinen Hosenstall auf. Wir winken dankend ab. „It’s ok! Let’s drink for Peace and Freedom!“ Da steht er auch schon, der Whisky! Pavlov schenkt schwungvoll ein, wir stoßen an und lernen, dass Mann Whisky nicht genüsslich schluckweise trinkt. In einem einzigen Zug leert er sein Glas und haut es zurück auf den Tisch, dass es ein Wunder ist, dass es heil bleibt. Wir schauen uns an. Ok, SO geht das also… Pavlov’s Frau ruft noch an, möchte allerdings wegen seinem Zustand nicht mit ihm reden, was ihn traurig macht.
Wir müssen nun allerdings tatsächlich aufbrechen, weil unser Shuttle geht und es gibt noch ein Erinnerungsfoto mit einer zärtlichen Bärenpranke in Stefans Gesicht. Zum Abschied umarmt uns Pavlov und verspricht uns, dass er immer da ist, wenn wir mal Probleme in Russland haben und sagt uns „Gerrrrmany ist forrr me YOU and YOU and YOU!“ Das ist doch mal ein Kompliment! Wir laden ihn noch zur Show heute Abend ein, wo er allerdings nicht erscheinen wird. Ich wünsche ihm, dass es ihm bald besser geht!

Zurück im Hotel holen wir unsere Sachen, da kommt auch schon der Shuttle zum Klub und wir sehen noch ein wenig von Sankt Petersburg. Die Location liegt wunderschön direkt am Wasser, dahinter die Skyline der Stadt. Traumhaft schön! Innen ist der Laden ebenfalls sehenswert. Rund angelegt, ein wenig wie ein Amphitheater, mit Glasfront, Arena und Rangplätzen. Viel Tageslicht auch in den Backstageräumen. Wohlfühlfaktor! Die Backline, die wir gestellt bekommen ist vollkommen in Ordnung und meine improvisierte kleine Gitarrenanlage klingt erschreckend gut für so wenig Aufwand.
Nach kurzem Soundcheck geht’s zum Abendessen, das dem ganzen Ambiente hier entspricht. Alles super gut.
Da wir eine Zeitverschiebung von zwei Stunden haben kommt es uns allen gefühlt sehr früh vor, als wir die Bühne betreten. Thomas war im Vorfeld ultra nervös, muss er doch Ansagen auf Russisch (schön in Lautschrift auf Zettelchen geschrieben) und Englisch machen. Es sind nicht übermäßig viele Menschen da, rund 300 werden es sein, dafür spielen wir in Sankt Petersburg auch das erste Mal. Aber diese Menschen haben alle riesen Spaß und auch unser, insbesondere Thomas‘ Knoten platzt schon nach wenigen Minuten und es wird eine Deutsch-Russische Gemeinschaftsparty mit viel Platz für Improvisationen („Willst du“ mal mit E-Gitarre in Ermangelung einer akustischen etc.…). Und die Zombies finden auch hier Einzug…
Wie nach jeder Show gehen wir nach dem Konzert raus zu den Fans, unterhalten uns auf Englisch und Deutsch, mit Händen und Füßen und kommen hier gerne wieder her!

Das nächste Abenteuer wartet allerdings schon auf uns und so verlassen wir recht bald den Klub und werden zum Bahnhof gefahren. Schlafwagenzugfahrt im legendären Sankt Petersburg – Moskau-Express wartet auf uns. Wir haben den Luxus von Viererabteilen, die wir aber nur jeweils zu zweit beziehen. Anders wäre es mit Gepäck aber auch ziemlich eng geworden. Orange Blümchenbettwäsche erwartet uns auf blauen Pritschenbetten. Wie fast überall in Russland gehen die Heizungen nur auf voller Pulle, dafür kann man im Zug aber auch kein Fenster öffnen. Ich finde einen Knopf, nach dessen Bedienung das Gebläse erträglicher wird. Ally behauptet zwar, dass war das Radio, aber ich habe erstens nichts gehört (was als Gitarrist allerdings auch nicht untypisch ist. Lieblingswort: WAS???) und zweitens einen spürbaren Erfolg gehabt. Andererseits kann Ally Kyrillisch und ich nicht…. Dieses Rätsel wird wohl nie geklärt werden!
Der Sinn eines Schlafwagens ist natürlich, sich einen gemütlichen Platz zum Feiern zu suchen. Ein Teil tut dies im Speisewagen ein anderer Teil in einem dieser lustigen Kinderzimmer. Dazu gehöre ich. Wir vernichten erfolgreich unseren Getränkevorrat, dann gehe ich meine Pritsche ausprobiere. Ich schlafe nicht viel, dafür ist das alles viel zu aufregend und in meinem Kopf drehen sich Gedanken und Gefühle.
Egal, wir sind ja recht früh in Moskau, da kann ich mich schön ins Hotelzimmer legen, bis wir zum Klub gefahren werden. Denke ich in meinem nicht mehr ganz so jugendlichen Leichtsinn…
Am Bahnhof wartet tatsächlich ein junger Autogrammjäger auf uns. Wahnsinn. 2500 Kilometer von daheim. Bester Job der Welt, den wir da haben!
Wir fahren eine gute halbe Stunde zum Hotel, wo mein Plan, mich schön hinzulegen, jäh zerstört wird. Unsere Hotelzimmer sind noch nicht bezugsbereit! Na toll… Nach einer halben Stunde Warten sind zumindest 2 Zimmer fertig. Eines bekommen Ally und Jutta, hier kann ich zumindest meinen Koffer lagern und Zähne putzen, eine bekommt derweil Matthias, der Partykönig, der sich in einem – sagen wir – desolaten Zustand befindet und das Bett am dringendsten braucht.
Ein Teil von uns macht sich auf die Suche nach einer Frühstücksgelegenheit und wir finden in der Nähe einen Subway. Der ist in Moskau genauso bescheiden wie in Deutschland, hilft aber nix, da muss er durch, der Lurch, wenn er ein Frosch werden will. Oder so…
Wieder im Hotel, ist mein Zimmer, das ich mir wie meistens mit Stefan teile, endlich fertig und während Thomas und Stefan bereits mit der Crew in den Klub fahren, gönne ich mir eine heiße Dusche und eine Stunde unter der Decke.
Dann geht es rüber in die Moskau Music Hall, die sich als ziemlicher Rock’n Roll Schuppen entpuppt. Kein Tageslicht, fragwürdige Toiletten und die Backline ist heute, vor allem was das Schlagzeug betrifft, gewöhnungsbedürftig. Entsprechend länger ist heute der Soundcheck…
Zum Abendessen geht es ins Lokal direkt im Klub und das Essen ist wider Erwarten hervorragend! Dann geht alles recht schnell und es wird Zeit, das letzte Konzert dieses Jahres anzutreten! Der Laden ist voll, die Stimmung schon vor unserem Auftritt bombig und so betreten wir die Bühne und legen los. Beim Zweiten Lied zerreißt Thomas die erste Gitarrensaite, perfekt abgesprochen mit Matthias, dem es eine seiner Basssaiten um die Ohren haut, was in 5 Jahren ungefähr einmal passiert. Er hatte im Vorfeld sogar überlegt, überhaupt Ersatzsaiten einzupacken für die zwei Shows… Hat er aber und so hat Danny einen kleinen Großauftrag. Beim nächsten Lied schafft Thomas 4 Takte, und die nächste Saite ist durch. ER hat übrigens KEINE Ersatzsaiten dabei, ich dafür für jede MEINER Gitarren vier Satz, die jetzt IHM, dem Sänger, zu Gute kommen.
Jetzt geht es entspannt 5 Nummern weiter, bis Stefan das Fell der Snare zerschlägt. Auch das passiert in 10 Jahren ungefähr einmal. Zunächst sieht es so aus, als wäre dafür kein Ersatz vor Ort und so erleben wir Stefans Wutausbruch hinter der Bühne zum Glück nicht, weil wir das nächste Lied einfach ohne ihn spielen. Vom Trommlerzorn beflügelt treibt irgendwer irgendwo tatsächlich irgendeine Snaredrum auf und es kann reibungslos bis zum Ende weiter gehen. Der Show tut das keinen Abbruch, im Gegenteil, die Menschen wissen meist zu schätzen, dass bei LIVEMUSIK, wo eben KEIN Playback läuft, durchaus Pannen passieren können, die man dann auch merkt. Und das ist gut so!

Das Moskauer Publikum erwartet uns bereits nach der Show und wieder gibt es Hand-und-Fuß-Gespräche mit Englisch-Deutschem Mischmasch. Dann wird der Saal geräumt und unser Taxi fährt und zum Hotel. Kurzer Zwischenstopp an einem Supermarkt, da der Biervorrat im Backstagekühlschrank nicht ausreichend war und weiter geht’s. In der Hotellobby klingt der Tag aus und nach und nach rufen die Hotelbetten.

Der nächste Morgen beginnt für mich mit einer heißen Dusche und einem Frühstück mit Danny und Cese, der Rest schläft noch. Gegen Mittag werden wir aufgesammelt, verabschieden uns von Matthias, der ab hier einen einwöchigen Urlaub antritt, und fahren zum Flughafen. Noch einmal durch die Straßen von Moskau, gegen die Münchner Hauptstraßen wie Feldwege wirken. Unfassbar riesig diese Stadt! Nicht wirklich meins, aber sehr beeindruckend.
Am Airport geht es durch diverse Sicherheitskontrollen, wir bekommen die oben erwähnten PERSÖNLICHEN Bordkarten (mit Spitznamen darauf!) – Danke Markus! – und vertreiben uns die Zeit bis zum Abflug bei Pizza und Wasser.
Der Flieger ist mit 50 freien Plätzen nicht besonders voll und alle Mittelplatzgestraften verteilen sich auf die freien Gang- oder Fensterplätze. Wir heben ab und während unter uns die Landschaft dahinzieht, läuft in meinem Kopf mein ganz persönlicher Film über dieses Wochenende, dieses Jahr, die Traumtänzertournee und vieles mehr. Was wir da doch alles erlebt haben! Ich werde wohl beizeiten ein paar Seiten zurückblättern und noch einmal alles nachlesen!

In München angekommen, zerfällt die Reisegruppe erschreckend schnell. Thomas fliegt direkt weiter nach Berlin ins Studio zum Singen, Ally wird privat abgeholt, Jutta muss weiter nach Köln, Hannah nach Bonn, Cese und Danny direkt nach München. So bleiben Stefan und ich und wir besteigen gemeinsam unser extra bestelltes GROSSRAUMTAXI und fahren damit zum Proberaum, um unsere Instrumente zu verstauen.
Für mich heißt es jetzt, noch zwei Stunden Auto fahren, die ich eher schlafwandlerisch hinter mich bringe. Was für ein ereignisreiches Jahr! Ich werde jetzt ein paar Tage das Landleben genießen und dann mit meine Kollegen weiter kreativ arbeiten, damit es nächstes Jahr ein tolles Jubiläum, eine tolle Best Off Platte und bald auch ein tolles neues Album von uns gibt!

In diesem Sinne!

Hipp Höpp

Ducky