16.2.2012, Aschaffenburg, Colossaal
16.2.2012, Aschaffenburg, Colossaal
Guten Morgen, liebes Tagebuch,
Auf geht’s nach Gröbenhell zum nächsten Tourblock! Bei mir zuhause hat es heute Nacht ununterbrochen geschneit und so fahre ich die 200 Kilometer-Strecke zum Proberaum entsprechend früher los. So manche Nebenstrecke ist dicht, ich komme auf meiner Route aber gut durch und bin zeitig am vor Ort.
Ein feines Feierabendbier genossen und schon geht es wieder auf Reisen. Mit etwas gedämpfter Stimmung allerdings, denn Thomas hat eine Kehlkopfentzündung und klingt wie Nachbars Mopps im Stimmbruch. Morgen ist direkt vor Ort nochmal ein HNO-Arzttermin, dann heißt es weiter sehen…
Nach einem kleinen Absacker verabschiede ich mich in die Koje, um am nächsten Morgen wieder zeitig wach zu sein. Wir stehen an einem Landgasthof und werden zum Klub geshuttelt. Zuerst die Crew und das Material, dann die Musikanten. Die einen früher, die anderen später…
Thomas Stimme mag noch nicht wirklich und wir hoffen auf die Spritzen heute Abend, die der Arzt ihm geben wird. In 14 Jahren Bandgeschichte haben wir nicht eine einzige Show abgesagt, von dem her liegt uns der Gedanke reichlich fern. Irgendwie geht’s immer ist unsere Devise! Das war 2008 mit Norovirus an Bord nicht anders als mit jeder Grippe und jedem anderen Wehwehchen.
Also wollen wir es auch diesmal probieren! Unser Plan ist, dass ich Thomas in den tonal anstrengenden Refrains gesanglich dopple, um ihm damit etwas Luft zu verschaffen.
Zum Soundcheck hält der Herr Sänger weitestgehend die Klappe, anschließend gibt’s lecker Spritzchen, die auch tatsächlich ganz gut anschlagen. Wir sind gespannt auf den Abend…
Nach dem Umziehen und der allabendlichen Ritualisierung geht’s auf die Bühne vor ausverkauftem Haus. Thomas kämpft wie ein Löwe, aber wir merken, wie sehr die Stimme leidet und obwohl der Abend ein voller Erfolg ist setzen wir uns nach dem Konzert zusammen und beratschlagen, was weiter zu tun ist. Wir entscheiden schweren Herzens, aber einstimmig: Wir brechen hier und heute ab. Von einer dauerhaft geschädigten Stimme hat niemand etwas und die Shows mit gesundem Frontman sind einfach die besseren! Also geht es nicht nach Hamburg, sondern, nachdem wir unsere Sachen gepackt haben, in die entgegengesetzte Richtung. Nach Hause.
Eigentlich könnte der Tag und damit mein Bericht an dieser Stelle bereits gelaufen sein, ich bin geistig auch schon im Bus mit einem guten Laphroaig in der Hand. Aber der Tag ist noch nicht gelaufen…
Der erste Shuttle zu den Bussen soll gleich kommen und ich stehe mit einem Großteil der Crew in der Halle und warte. Die Stimmung ist aus gegebenem Anlass etwas bedrückt und so packe ich meine Dockingstation aus und schließe meine iPhone an. Woddy Woddy Wodka von Udo Lindenberg kann jetzt nicht schaden und die Musik erhellt unsere Gemüter. Plötzlich kommt ein Typ um die Ecke, reißt mein Telefon aus der Station und verschwindet damit. Ich denke erst an einen Scherz, vermute, dass hier jemand nachschauen will, was wir hören und verlange nichtsahnend mein Handy zurück. Da geht der Knabe steil. Was wir hier für einen Lärm machen, im Hof muss man leise sein und so weiter. Wir sind aber IN der Halle, die Türen sind zu und vor kurzem lief hier ein Konzert mit ungleich höherer Lautstärke. Ich frage, warum er mir denn nicht einfach sagt, dass ich leiser oder aus machen soll, weil ich ein durchaus kommunikationsfähiger und auch ebenso einsichtiger wie kompromissbereiter Mensch bin. Das mit dem leiser machen war Sekunden vorher Teufelchen angeschafft worden, die hatte aber nicht einmal Zeit, mir das mitzuteilen. Kommunikation ist leider nicht jedem geläufig und so werde ich, der ich bis heute noch nicht recht weiß, WAS ich eigentlich angestellt habe, angeschrien: „Wir gehen jetzt da raus und klären das!“ Etwas grotesk die Situation, weil man mir ja gerade erklärt hat, dass im Hof Ruhe herrschen muss. Aber Schreien und Prügel androhen sind da wohl nicht mit eingeschlossen. Ich mache klar, dass ich nicht mit rauskomme und wenn es was zu klären gibt wir das gerne hier drinnen tun können. Immerhin weiß ich jetzt, dass ich ein Weichei bin, das wird mir zumindest in gehobener Lautstärke attestiert. Alles klar, seien wir an dieser Stelle einfach mal froh, dass ich eine friedfertige Seele bin, die cholerisches Gehabe auch nicht so schnell wütend macht.
Langsam wird’s mir aber zu blöde, zumal ich immer noch nicht kapiere, was den Herren so auf die Palme bringt. Anscheinend hat er sich vorher mit Teufelchen gestritten und hält ihr jetzt einen Vortrag, was sie noch zu lernen und wie sie sich zu verhalten hat. Alles klar. Nach diesem hollywoodreifen Auftritt und der Demonstration wie man sich adäquat verhält alles in allem sehr „glaubwürdig“
Zu guter Letzt wird mir noch angedroht, dass ich zu Fuß zum Bus laufen muss und ich sage nur, dass ich mir dann eben ein Taxi rufe. Komischerweise darf ich dann aber doch in den Shuttle, wo alle, die das eben mitbekommen haben, kopfschüttelnd Platz nehmen. Ein krönender Abschluss für diesen Tag. Danke für so viel Demonstration zwischenmenschlicher Wärme und Umgangsformen…
Jetzt ab zu den Bussen, es gibt Wichtigeres zu tun, als sich über Nichtigkeiten aufzuregen, zum Beispiel die Fans über alle Kanäle über unsere heutige Entscheidung zu informieren. Dank Bus-W-LAN ist das kein Problem und um 2 Uhr morgens sind alle Seiten mit der News gefüttert.
Am nächsten Morgen schicken wir Thomas zum Arzt und drehen noch einen Podcast, um euch allen noch einmal persönlich unsere Situation zu schildern. Derweil kümmert sich Armin bereits um die Ersatztermine und so werden wir uns in Kürze mit auskuriertem Sänger wieder sehen!
Hipp Höpp
Ducky