28.8.2015, Schleswig, Baltic Open Air
Guten Morgen, liebes Tagebuch!
Der Trommler ist zurück! Und zwar nicht nur im Proberaum, sondern ab jetzt auch wieder on Stage! Wir sind alle heilfroh, dass es doch so schnell ging und so trifft sich die Stammbesetzung am Donnerstag zum Proben bzw. zum Arbeiten an neuen Songs. Heute ist verhältnismäßig früh Abfahrt, denn es gilt gut 900 Kilometer zurückzulegen und um 9.30 Uhr muss unser Gerödel auf die Mainstage gebracht werden.
Aus diesem Grund sammelt uns der Nightliner um 19 Uhr auf. Was sich zunächst komisch anfühlt entpuppt sich schnell als ziemlich vorteilhaft. Zu meiner normalen Schlafensgehzeit habe ich die nötige Bettschwere und kann mich in meine Koje legen, wo ich tatsächlich und trotz Nighlinerfahrt halbwegs gut schlafe! Dafür bin ich entsprechend früh wieder wach und schaue aus dem Kojenfenster: Wasser! Wir sind an der Schlei und riechen förmlich schon die Ostsee!
Jetzt gibt es erstmal Frühstück und dann beginnt ein Tag voll gähnender Langeweile. Da hilft es auch nix, dass ab 12 durchgehend gegrillt wird. Es gibt Fleisch mit Fleisch und Fleisch und dazu Cevapcici und Bratwurst. Wer möchte kann sich alles noch mit Kartoffelsalat pimpen. Die einen sind begeistert, die anderen weniger… Wie immer… Es nützt auch nichts, dass die Muse kurz vorbeischaut und ich einen Songtext schreibe. Danach herrscht SIE wieder: Die Langeweile. Showtime ist erst um 22.10 Uhr. Ich schaue mich auf dem Festivalgelände um. Es ist überschaubar, hat aber eine angenehme Größe finde ich. Das Line Up hat ja bereits im Vorfeld für gespaltene Meinungen gesorgt. Dank Freiwild und Kevin Russel wurde zum Teil gefordert, wir sollten das Festival boykottieren. Wir sind allerdings der Meinung, dass man erstens niemanden verurteilen sollte, ohne sich selbst ein Bild gemacht zu haben und dass ein zu Hause bleiben einem Schwanz einziehen gleich käme. Also haben wir ganz bewusst nicht abgesagt, sondern stattdessen „bunt und nicht braun“ mit ins Set genommen und Thomas hat sich eine höchst emotionale Ansage dazu überlegt.
Doch soweit ist es noch lange nicht und nachmittags haben wir ein Bandmeeting. Die Akustiktour will besprochen und Probentermine ausgemacht werden.
Schließlich ist es endlich soweit und unsere Backline steht rechtzeitig auf der Bühne, dass wir Punkt 22.10 Uhr starten können. Wir spielen unser Set vor feierlaunigem Publikum. Dann kommt der „Krieger“ und danach steht „bunt und nicht braun“ auf der Setliste. Die Ansage von Thomas ist nicht nur inhaltlich emotional, er trägt sie ebenso packend vor. Ich habe Gänsepelle und kann nur den Kopf über ein Mädel in der ersten Reihe schütteln, die ständig „hör auf!“ schreit. Nein, genau das werden wir NICHT tun. Solange da draußen Menschen rumlaufen, die ihr Herz anscheinend gegen einen Stein getauscht haben und sich von Neid, Missgunst und Vorurteilen zerfressen lassen, werden wir erst recht das zelebrieren, was die „Krone“ der Schöpfung ausmachen sollte: MENSCHLICHKEIT! Wen der Anblick ertrunkener Flüchtlingskinder kalt lässt, dem ist genau dieses Gut abhanden gekommen.
Wie es der Zufall so will taucht genau zu Thomas Ansage Kevin Russel neben meinen Amps auf und verfolgt unsere Show noch ein paar Nummern lang.
Und ich verfolge später die seine und er macht tatsächlich ebenfalls eine – wenngleich deutlich unemotionalere – Ansage im Sinne von „man sollte einem Hilfesuchenden die Hand reichen“.
Dafür überzieht er satte 40 Minuten seine Show, sodass unsere Crew nicht an unsere Pulte kommt und wir deutlich später starten, als geplant. Das Shutteln in Wuppertal wird also nach hinten verschoben. Wir starten irgendwann nach 2 Uhr morgens in die Nacht und ich verschwinde in meine Koje.
Gute Nacht
Hipp Höpp
Ducky